Wolfgang„Nur ein Wort dazu: Fantastisch! An jeder Stelle hätte ich gerne mehr gelesen und mehr Details gehabt. Eine perfekte Leseprobe!“Im Mediapark Köln bei Startplatz: eine Unzahl von Büroräumen und dynamischen Jungunternehmern oder Mitarbeitern, die sich von Zeit zu Zeit an der Kaffeemaschine begegnen. Eine dunkelhaarige Frau erklärt einem Rotschopf ihr neustes Projekt: Online-Nachhilfe. Wolfgang Kierdorf holt mich am verwaisten Empfang ab und bietet mir einen Cappucino aus dem Automaten an. Wir gratulieren einem älteren Herrn, der Geburtstag hat, und gehen schweigend durch die langen Flure in sein winziges Büro. Kein Mann des Smalltalks. „Was kann ich für Sie tun?“, kommt er sofort zur Sache. An den Wänden Zettel mit motivierenden Marketingslogans und wenigen Rechtschreibfehlern. Ich erzähle ihm meine vage Idee. Mit wachen Augen hinter den Brillengläsern registriert er genau, wann meine Züge ernster werden: „Wenn Sie über Bücher sprechen. Das Coaching nimmt man Ihnen nicht ab. Vielleicht kam es deshalb zu keinem Abschluss.“

Meine Geschäftsidee gefällt ihm. Sofort klappt er den Laptop auf und verschafft sich einen groben Überblick über Konkurrenz und Marktlage. Er rechnet mir vor, welche Honorarvorstellungen für Privat- und Geschäftskunden in Betracht kommen. Perspektive: in einem Jahr einen ersten Mitarbeiter einstellen. Von der Beamtentochter zur Unternehmerin – mein Lebensprojekt. Ich kann mir das noch nicht richtig vorstellen. „Das kriegen wir schon hin“, meint er zum Abschluss und schenkt mir sein Arbeitsbuch Wie man ein verdammt gutes Unternehmen gründet. Er begleitet mich schweigend zum Ausgang. Im Fahrstuhl zum Parkhaus der freundliche junge Mann mit dem WDR-Mikrofon in der Hand, der mir zeigt, wo ich Geld für den Parkautomaten wechseln kann. Das Interview-Geschäft wird auch meine Welt werden.

Beim nächsten Treffen klären wir das Geschäftliche. Ein Coachingvertrag wird unterschrieben, sein Angebot, Raten zu zahlen, kommt mir sehr entgegen. Wolfgang Kierdorf hatte einen Hörsturz, Infarkt im Innenohr. Zu viel Stress. Der Mann ist schnell im Kopf. Wir beschäftigen uns mit meinem Lebenslauf. „Ich hoffe, das bedeutet nicht, dass Sie mir eine Selbstständigkeit nicht zutrauen“, spreche ich meine eigenen Zweifel aus. „Nein, aber solange Ihre Idee noch nicht ganz feststeht, halten wir Ihnen beide Optionen offen“, sagt er und streicht großzügig ganze Etappen aus meinem Werdegang. Die aktuelle Situation unterfüttert er kreativ mit Tätigkeiten aus meinen unzähligen Fortbildungen, das sieht jetzt ganz gut aus. „Bewerben Sie sich an der und der Hochschule, die suchen Dozenten mit akademischem Titel“, empfiehlt er mir. Mir fällt sofort ein, dass ich so gut wie keine Unterrichtserfahrung habe. „Das macht gar nichts, Sie können sich das schlechte Niveau der Studenten dort gar nicht vorstellen. Ich hab zehn Prozent durchfallen lassen, deshalb bin ich dort wieder gegangen“, lacht er. Ich bekomme Hausaufgaben.

So setzen wir unsere Arbeit in regelmäßigen Abständen fort, im Startplatz, in einem Café und auch mal per Skype, als er die Geburt seines ersten Sohns erwartet. Ich bin überrascht, dass wir nach keinem System vorgehen. Wenigstens ist für mich keines erkennbar. Wolfgang Kierdorf greift auf, was ich mitbringe, geht dem nach, was von mir ausgeht, folgt Ideenspuren, rennt voraus, kehrt um, nimmt mich mit, schnüffelt im Netz und gräbt sich tiefer. Wie ein guter Hütehund. Allmählich fasse ich Vertrauen, dass er das System kennt, den Überblick behält, meine neu zu gründende Existenz im Ansatz behütet. Auch wenn ich zunächst Umwege gehe, Ideen biete und wieder verwerfe, mich noch nicht festlege und nicht in die Tiefe gehe. Klar ist: Es dreht sich um Lesen, Schreiben, Bücher, Menschen, Reisen. Und er ermutigt mich zu schreiben. Sein Feedback: enthusiastisch. „ Nur ein Wort dazu: fantastisch! An jeder Stelle hätte ich gerne mehr gelesen und mehr Details gehabt. Eine perfekte Leseprobe!“ Das baut auf.

Vor dem Kinopolis in Leverkusen kommt er mir schwungvoll entgegen, einen Ausdruck meines letzten Textes in der Hand. „Das wollte ich gerade lesen“, räumt er schmunzelnd ein. Der Mann hat viel zu tun. Der Mann nutzt jede freie Minute. Wir gehen zur Rathaus Galerie, einem großen Bau mit unzähligen Geschäften auf mehreren Etagen. Bei Starbucks spendiert er mir einen großen Milchcafé, nimmt selbst schwarzen Café und Käsekuchen und steuert mit mir auf einen freien Tisch zu. Nein danke, ein Muffin möchte ich lieber nicht. Ich gebe zu, dass ich meinen neu gestalteten Lebenslauf nicht verschickt habe und weder Lehrerin noch Dozentin oder Trainerin sein will. Das ist wenigstens der aktuelle Stand, der meinem derzeitigen Selbstbewusstsein entspricht. „Gut, dass wir das wissen“, lacht er entspannt.

Wir sprechen über eine neue Idee, er skizziert auf einem Block sofort mögliche Probleme der Kunden, entsprechende Lösungen, stuft Dringlichkeiten ab. Bisher drehten sich meine Gedanken krampfhaft darum, was ich kann und was ich selbstständig anbieten kann. Wolfgang Kierdorf eröffnet mir heute eine andere Sichtweise: Mein Angebot darf umfassender sein als das, was ich persönlich durchführe. Was ich nicht kann, wird von anderen durchgeführt, die ich gegen Provision beauftrage. Team, Netzwerk, das ist der Gedanke, der mehr erlaubt. Wir halten ein mögliches Prozedere fest. Bei jeder Begegnung fragt er, inzwischen per Du: „Ist es das immer noch, was du tun willst?“ Ohne Leidenschaft für ein Thema kein Unternehmen fürs Leben.

Er selbst gründete mehrere Unternehmen, aufgegeben hat er sie nur, wenn es ihm zu langweilig wurde. Als Gesprächspartner zuerst gewöhnungsbedürftig. Kein Coach, der es einem bequem macht, er fördert und fordert. Denkt beim Zuhören bereits an Lösungsvorschläge. Das merkt man. Es geht darum, die Sache vorwärtszubringen. Klar, schnell, realistisch, strategisch, intelligent. Als ich einmal mutlos vor ihm sitze und weine, zeigt er ein anderes Gesicht. „Was meinst du, wie viele Leute ich hier sitzen habe, die auch gezwungen sind, sich selbstständig zu machen, die auch in Jobsituationen stecken, auf die kein Licht mehr fällt? Du bist nicht die Einzige. Ich kenne das.“ Und er erzählt zum ersten Mal von sich selbst, von Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Existenzangst und der Verzweiflung, vor dem Nichts zu stehen. Auch das ist mir wichtig zu hören, macht Mut, stärkt mein Vertrauen.

Wir arbeiten schon eine Weile zusammen, ich habe eine Homepage, liefere ab, bleibe dran. Allmählich kommen Prozesse in Gang. „Wir sind noch in der Testphase“, sagt Wolfgang Kierdorf und erklärt mir die folgenden Phasen. Mit sicherer Gelassenheit schließt er: „Ich verspreche dir, dass du von deiner Selbstständigkeit leben kannst, wenn du einfach nur das tust, was ich dir sage. Da musst du jetzt durch. Wir schaffen das schon.“ Klare Worte. Ich glaube ihm. Und mache meine Hausaufgaben. Es geht weiter.