PorträtMitten in einem ruhigen Wohngebiet in Leverkusen finde ich die Gewerberäume von Sylvia Hollmann. Als ich einparke, steht sie bereits in der Tür und spricht beruhigend auf Sammy, den Hund, ein. Dass ich mein Aufnahmegerät dabei habe, ist ihr zunächst nicht angenehm. Eine Frau, die sich selbst nicht in den Vordergrund drängt.

Hinter der Tür steht man sofort in einer der beiden Werkshallen und geht auf eine Hebebühne für Fahrzeuge zu. Linker und rechter Hand drei große Digitaldruck- und Schneide-Maschinen, an den Wänden Folienrollen in allen Farben. In der zweiten Halle gibt es auch eine kleine Handmaschine, um T-Shirts in geringer Auflage zu bedrucken, große Arbeitstische bieten genügend Flächen zum Kleben auf Stehhöhe. Überall Materialreste, ein T-Shirt mit einer goldenen Krone und dem Schriftzug „Live your life“ ist gerade fertiggeworden, Schilder, Arbeitsproben und -beispiele, ein Kaugummi liegt auf dem Boden. Wir bleiben neben dem Eingang in der kleinen Küche. „Oben im Büro ist es zu warm“, meint sie. Die Musik schaltet sie aus. Eine Maschine arbeitet im Hintergrund weiter. Ihre Mitarbeiter sind gerade auf Montage. Die Wand neben dem Küchentisch ist mit vollflächigen, raumhohen Bannern geschmückt, darauf Fotomotive aus der Natur. „So etwas setzt man für Außenwerbung ein“, erklärt sie. Davor ein Kissen für Sammy. Daneben auf einem Stehpult ein übergroßes Foto ihrer beiden Kinder. „Übermorgen in einer Woche sitzen wir im Flieger nach Fuerteventura“, freut sie sich.

Sylvia Hollmann ist spät Mutter geworden, hat alles daran gesetzt, ihren Wunsch nach einer Familie zu verwirklichen. Jetzt ist sie 49, ihre Kinder sind sieben und neun Jahre alt. Ursprünglich war sie Bankkauffrau, bis sie vor zehn Jahren in Mutterschutz ging. 2010 dachte sie daran, in Teilzeit zur Bank zurückzugehen. „Ich hätte morgens um acht in Köln sein müssen. Mit zwei kleinen Kindern, einem Hund und einem selbstständigen Ehemann war das zum Scheitern verurteilt. Deshalb habe ich nach 25 Jahren gekündigt.“ Sie reibt scherzhaft beide Fäuste vor den Augen, um anzudeuten, wie schwer ihr das fiel. „Ich hab schon geheult, als ich in Mutterschutz gegangen bin.“ Die Bestätigung, der Umgang mit den Kunden im Beratungsgespräch als Kredit- und Baufinanzierungsbearbeiterin, all das fehlte ihr.

Als „Vollzeitmami“ blieb sie zunächst mit beiden Kindern zu Hause, arbeitete ehrenamtlich, unterstützte ihren Mann in der Firma. Mit Maschinen kannte sie sich damals noch nicht aus. „Ich hab den Bürokram gemacht: Lieferanteneingänge, Kundenzahlungen, Mahnwesen.“ Vor zwei Jahren ließ ihr Mann sich im Krankenhaus durchchecken: alles bestens. Zwei Wochen später starb er im Büro am Sekundentod, mit 43. Er hatte die Firma aufgebaut, Maschinen angeschafft, ging zweimal in die Arbeitslosigkeit, verkleinerte sich, expandierte wieder: sein Lebenswerk, in dem Herzblut steckt. Kurzerhand trat Sylvia Hollmann in seine Fußstapfen und übernahm. Am nächsten Tag schrieb sie eine Mail an alle Kunden und informierte sie offensiv über die neue Situation, entschlossen, mutig, verantwortungsbewusst. Welche Unterstützung sie damals hatte? „Keine.“ Mit einer Helferin biss sie sich durch, flexibel und willensstark, packte zu, ging mit auf Außenmontagen, fehlte dann im Büro, bis sie wieder einen Mitarbeiter einstellen konnte. „Ich war in der Materie überhaupt nicht zu Hause und musste mir alles aneignen. Ich kann die Maschinen inzwischen alle bedienen, aber kleben kann ich selbst nicht“, gibt sie offen zu.

Die Trauerarbeit verschob sie. „Ich war stille Leserin in einem Trauerforum, schrieb Tagebuch, aber ich wollte mich nicht darin verlieren, sondern den Kindern Halt bieten können.“ Die Überbringerin der schlechten Nachricht wollte sie bewusst nicht sein. Sie ließ sie am offenen Sarg Abschied nehmen, ihm Geschenke mitgeben und erklärte ihnen, dass „der Papa die Leiter nach oben in den Himmel gegangen ist und auch nicht wieder runterkommen kann“. Durch die Arbeit in der Firma bleibt sie ihm nah, die Kinder holt sie am Nachmittag aus der Ganztagsschule zu sich ins Büro. Seine Schuhe stehen immer noch dort.

Jetzt ist ihre Domäne die Kundenakquise und -betreuung. Das Verkaufen liegt ihr, erst recht ohne den Druck und die zu erfüllenden Vorgaben, die damals in der Bank Usus wurden. Der Kontakt mit anderen Unternehmernetzwerken hilft ihr, ein Großteil der Bestandskunden blieb, neue kamen hinzu. Plakate, Autobeschriftungen für Autohäuser, Schaufensterwerbung, Wohnhaus-Banner, Sonnenschutzfolien in Autos, Lackschutz, Schilder – ihre Angebotspalette ist breit. Für eine Arztpraxis entwarf sie einen beschrifteten Fahrradständer, gestaltete den Schaukasten, beschriftete die Praxisräume und verklebte die Laborfenster mit Sichtschutz. „Da konnten wir uns so richtig ausleben“, lacht sie. Ihre Mitarbeiterin ist Schreinerin, ihren Mitarbeiter kann sie auch auf Gerüsten oder Hebebühnen einsetzen. Sie selbst hat schon Schwierigkeiten, auf eine Leiter zu steigen. „Zur Not kaufe ich einen Industriekletterer ein“, sagt sie. Sylvia Hollmann führt mich durch die Hallen, erklärt die Maschinen und Arbeitsschritte sicher und kompetent. Den Kunden zeigt sie Materialproben, empfiehlt anhand ihrer Farbfächer die passenden Töne. Mit großer Exaktheit beurteilt sie fehlerhafte Farbverläufe im Andruck, sieht unscharfe Druckränder, die mir auf Anhieb nicht auffallen. „Das können wir den Kunden so nicht abliefern“, sagt sie bestimmt. Sylvia Hollmann liefert Qualität, arbeitet genau und strukturiert.

Das Telefon klingelt. Eine Kundin bedankt sich für die gute Arbeit. „Wir haben eine Kommode verklebt und sie war von dem Ergebnis begeistert.“ Ihre Mitarbeiter kommen zurück und parken meinen Wagen zu. Sammy bellt. Sofort geht sie zur Tür und gibt entsprechende Anweisungen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so viel Spaß macht, die Firma zu führen“, beurteilt sie ihre Situation im Rückblick. Damals ergriff sie die Chance, aus einem Schicksalsschlag das Beste zu machen. Aus den Fußstapfen ihres Mannes ist sie längst herausgetreten. Jetzt ist sie an den Punkt gekommen, für sich zu entscheiden, wie es weitergeht.

Sylvia Hollmann sieht von ihrem Büro im ersten Stock durch ein Glasfenster auf die Werkshalle. Am Fenster kleben noch die To-do-Listen ihres Mannes. „Mehr Zeit für die Familie“, hatte er sich darauf notiert. Vier Wochen blieben ihm damals noch. „Er wollte es ändern und hat es nicht geschafft. Mir soll nicht das gleiche passieren. Ich weiß nicht, ob ich morgen vom Auto überfahren werde, aber ich kann wenigstens etwas dafür tun, nicht an Stress zu sterben.“

Die Lage der Zahlen und Fakten, die Bedürfnisse der Kinder, ihr Bauchgefühl und die Stimme der Vernunft gilt es abzuwägen. Die richtige Entscheidung wird sie finden. Wenn sie sie nicht schon längst getroffen hat.