Frank Niebuhr

Ein sonniger Herbsttag Ende September. Frank Niebuhr empfängt mich in seiner Wohnung, in der sich auch sein Atelier befindet. Das rückenlange rote Haar trägt er zum Zopf gebunden. Im Flur eine Liane, die, mit Fotos wichtiger Menschen als Blätter bestückt, als Lebensbaum dient. Das Wohnzimmer greift das Thema Wald auf: Vom braunen Sofa auf braunem Teppichboden blickt man ringsum auf Fototapeten mit Waldmotiven. Zwei Büsten aus Indonesien werden von Grünpflanzen umschlungen, die von einer Wand zur anderen ranken, als Tisch dient eine Holzscheibe. Hier erdet sich ein Naturliebhaber mit besonderer Beziehung zu Bäumen. Demnächst wird er ins Grüne ziehen, seine Arbeit erfordert mehr Raum.

Im Atelier stehen mehrere Schnitzböcke und Modelliertische aus Holz und ein höhenverstellbarer Schnitztisch aus Eisen, auf dem „Frank der Rote“ steht. Auf dem Modelliertisch das Tonmodell einer Elfe, die, auf einer Blüte sitzend, ihre weibliche Blöße mit einem Blütenblatt bedeckt, daneben die gleiche Figur als Holzskulptur. Bemalte Ornamentschnitzereien, florale Skulpturen aus Holz und eine abstrakte Figur aus Alabaster lehnen an der Wand. Diverse Schnitzmesser, in unterschiedlichen Stichen sortiert, Raspeln und ein Klüpfel sind das wichtigste Werkzeug des Bildhauers. Große Holzblöcke aus Walnuss, Zirbe und Robinie stehen auf dem Boden. Er kennt die Geschichte der gefallenen Bäume, von denen er ein Stück retten konnte und veredeln wird. „Ich arbeite gerne zuerst mit Tonmodellen, man kann sie von allen Seiten aus betrachten, Maß abnehmen und viel vordefinieren“, erklärt er. „Bei abstrakten Figuren arbeitet man freier, da gibt das Holz vor, wo‘s langgeht.“ Mit der Säge bringt Frank Niebuhr die Holzblöcke auf die richtige Größe, sucht die markanten Punkte des Tonmodells im Holz und arbeitet zunächst von vorn nach hinten in Flächen und Ebenen, bis er feinste Details herausziselieren kann. „Im Holz muss ich erst vereinfachen, um dann wieder genau zu werden, schwierig und gleichzeitig so faszinierend. Das erfordert räumliches Sehen. Bildhauern hat mit dem Aufräumen von Komplexität zu tun.“ In seinem Ideenbuch hält er Titel und Skizzen für nächste Arbeiten fest, die ihm aus beeindruckenden Begebenheiten des täglichen Lebens zufließen.

„Ich bin ein optisch orientierter Mensch und kann mit den Händen gestalten. Mit meiner Tochter habe ich stundenlang in der Sandkiste Figuren gebaut. Das lag als Begabung schon immer in mir“, erzählt er. Ursprünglich lernte er Schauwerbegestalter und arbeitete in der Werbetechnik, wo ihn der Dummybau besonders faszinierte. Das seit seiner Kindheit an ihm nagende Gefühl, nicht wirklich bei sich zu sein, und der Tod der engsten Familienmitglieder warfen die Sinnfrage auf. „Einige Jahre hat das in mir gearbeitet. Ich war nicht glücklich, fühlte mich fragmentiert“, sagt er. Ein Erlebnis während einer Aufstellung eines inneren Themas veranlasste ihn dazu, eine mehrjährige Beraterausbildung zu beginnen, in der die eigene Persönlichkeitsentwicklung Programm ist. „Seitdem geht das rasant. Die Zerrissenheit in mir fügt sich zusammen.“ Er kam immer mehr zu sich und konzentrierte sich ganz auf die künstlerische Arbeit als Bildhauer. Eine mehrjährige Bildhauerausbildung und einen sehr persönlich gestalteten Schnitzkurs gönnt er sich nebenbei. Sie schulen sein handwerkliches Können, zeigen ihm einen weiten Horizont auf und bestärken ihn im individuellen kreativen Ausdruck. Blockaden und Krisen gehören zum Schaffen ebenso dazu wie das befreite Aufgehen im Flow. „Das künstlerische Arbeiten hat ganz viel mit einem selbst zu tun. Eigentlich schafft der Künstler immer gleichzeitig an sich und am Werk“, erklärt er. „So wie ich aus dem Holz herausarbeite, was in ihm steckt, so arbeite ich auch den wahren Frank aus mir heraus, räume auf, gehe an Grenzen – eine sinnstiftende Arbeit, die zugleich andere berührt. Bei sich zu sein und diesem wesentlichen Pfad zu folgen, darum geht es doch im Leben. Wenn du etwas verändern willst, dann verändere dich.“

In Zukunft möchte er nicht nur eigene Ideen frei verwirklichen, sondern auch mit Menschen arbeiten und die Bildhauerei dabei als Medium nutzen. „Das Leben ist tief und großartig. Das, worauf jemand stolz sein kann, aber auch seinen tiefsten Schmerz hole ich noch mal aus dem Holz heraus, damit etwas Bleibendes entsteht. Kunst ist das, was ich, meinem Wesen entsprechend, ausdrücke, somit immer einzigartig. Mein Wesen ist es, der Liebe sehr nah zu sein. Das möchte ich in die Welt tragen.“ Ob figürlich oder abstrakt, die Liebe nimmt ihren Weg in Frank Niebuhrs künstlerisches Gestalten und drückt sich unterschiedlich darin aus: Das ist Holzliebe-Art – wahrhaftig, feinsinnig und ausdrucksstark im Ausgleich lebendiger Kräfte.