Gedanken zum Wert EinflussCoaching für Kinder

Der feine Nieselregen dringt durch ihre Jacke. Während sie sich umdreht, um ihren Freunden etwas zu sagen, rutscht sie auf den nassen, glatten Platten der Strandpromenade aus, verliert den Halt und fällt wie ein Baum, aus großer Höhe. Sie schlägt mit dem Hinterkopf hart auf. Es geht ihr täglich schlechter. Erst einige Tage später kommt sie mit stechendem Kopfschmerz in die Notaufnahme. Im Krankenhaus erfährt sie, dass sie eine Gehirnblutung hat, die glücklicherweise von allein zum Stillstand gekommen ist, und eine lange Zeit der Gesundung vor ihr liegt.

Sie ist noch da. Sie lebt. Es hätte schnell zu Ende sein können. Sie will erinnern statt vergessen. Alles. Sich öffnen und zeigen. Sie möchte nicht unversöhnt sterben.

Sabine ist eine große, schlanke blonde Frau, sportlich gekleidet in hellen Farbtönen: Jeans, Pullover, Halstuch, Sneakers. Sie holt mich vom Flughafen ab, und wir fahren in ihre Wohnung. Es ist ein sonniger Herbsttag Mitte Oktober, windstill, die Bäume der Alleen leuchten in allen Farben, Blätter fallen unablässig auf den Boden. Bald ragen kahle Äste in den Himmel. Zeit für Besinnung.

Die Wohnung hat sie vor Kurzem cremefarben tapezieren lassen, eine weiße Ledersitzlandschaft verspricht Bequemlichkeit; den weißen Teppich, auf dem sich Spuren von nackten Füßen eingeprägt haben, wage ich nicht zu betreten. Gegenüber ein überdimensional großer Fernsehbildschirm, eingepasst in ein weißes Sideboard, auf dessen Regal etliche gerahmte Fotos Platz gefunden haben. Die moderne Möblierung wird durch einige kleine Erbstücke aus dunklem Holz kontrastiert. Überall frische und getrocknete Blumen, Dekorationsartikel. Den Glastisch hat sie mit Kerzen, Gläsern, Tassen, einer Karaffe voller Minzewasser, einer Kaffeekanne und einer üppigen und abwechslungsreichen Schnittchen-Platte liebevoll gedeckt. Auf dem Balkon eine Rattanliege und Blumenkästen, die, zur Jahreszeit passend, bepflanzt sind. Sabine hat ihre Wohnung ganz nach ihrem Geschmack und Bedürfnis gestaltet, ein freundliches, weiblich-romantisches und doch klares, geordnetes Zuhause geschaffen, in das sie sich zurückziehen kann. Sie liebt Weiß.

„Jetzt fang ich an zu schweigen. Mein Kopf ist wie leer“, sagt sie und schenkt Kaffee ein. Sie ist aufgeregt, weiß, dass sie die Sprachlosigkeit aufbrechen wird, sucht einen Anfang. Wir essen, plaudern, und sie erklärt mir, wer auf den ausgestellten Familienfotos abgebildet ist – ihre „Ersatzmama“, ihre Töchter, ihr Zwillingsbruder, ihr derzeitiger Lebenspartner, und die Katze. Sie holt das Foto, auf dem sie neben ihrem Zwillingsbruder sitzt, zwei Kleinkinder, der Junge etwas größer als das Mädchen, blicken einträchtig und offenherzig in dieselbe Richtung. Die heile Kinderwelt zerbrach früh. Der Junge erkrankte mit vier Jahren an einem Gehirntumor, stand als Sorgenkind jahrelang im Mittelpunkt der Familie, erblindete durch die Strahlentherapie, bis er siebenjährig, einige Monate nach der Einschulung, starb. An diese Zeit hat sie kaum Erinnerungen, nur das Gefühl der großen Ungerechtigkeit, für kleine Streiche immer strenger bestraft worden zu sein als der Bruder, der meist verschont wurde. Die damalige Erziehungsmethode der Eltern: Prügel und anschließend stundenlang zur Strafe im Bett liegen müssen. Lob, Anerkennung, liebe Worte und Unterstützung der eigenen Persönlichkeit gehörten für ihr Empfinden nicht zum Repertoire. Brechen statt aufrichten, das war Programm.

Die Zwillinge waren eng miteinander verbunden, im Mutterleib lagen sie Ohr an Ohr. Sabine ist auf dem linken Ohr taub, hört dafür rechts umso besser. Eine Gesichtshälfte ist etwas flacher, dort, wo das wachsende Leben des anderen Raum verlangte. Das Bild ihres toten Bruders, den der Vater morgens vergeblich aufzuwecken versucht, hat sich ihr tief eingeprägt. Im Schulalter wurde noch schnell getauft, falls ein gütiger Gott das Kind dann liebender zu sich nähme. Religiöse Erziehung gab es nicht. „Ich glaube nicht an Gott. Das ist bei mir nicht angekommen“, erklärt Sabine. An die Zeit der Trauer danach kann sie sich nicht erinnern. Es ist, als wären das Schweigen, die Stille, die Einsamkeit wie eine schwere Decke darübergebreitet. Ob sich jemand um sie kümmerte, sie tröstete, in den Arm nahm, ihr erklärte, was passiert war, ihr Zuwendung und Geborgenheit schenkte, weiß sie nicht mehr. „Jeder trauerte wohl für sich allein. Über Gefühle wurde nicht gesprochen.“

In ihrer Mutter wucherte bald über alle gesunden Strukturen hinweg der Brustkrebs, gegen den sie zehn Jahre später, mit 49 Jahren, den Kampf verlor, zu Hause, im eigenen Bett, bis auf die Knochen abgemagert.

Ihr Vater begann damit, immer mehr natürliche Grenzen zu übertreten, Tabus zu brechen, die kleine Sabine seinem Willen zu unterwerfen und sie zu seiner Befriedigung zu missbrauchen. Das jahrelange Entsetzen nahm seinen Lauf …

Erst 50 Jahre später konnte Sabine (Pseudonym) sich ihre Erlebnisse, ihre Geschichte von der Seele reden. Der Einfluss ihrer schrecklichen Kindheit reicht bis in die Gegenwart, hat sie verhärtet. Sie wurde selbst eine strenge Mutter. Jetzt hält sie ihr Buch in den Händen und hofft, durch das Aufdecken ihrer Vergangenheit von ihren Kindern besser verstanden zu werden. Sie wünscht sich Aussprache und Versöhnung. Vielleicht darf sie dann ihre Enkel kennen lernen.

Sie haben etwas erlebt, was Sie schmerzt? Sie möchten sich aussöhnen? Oder Ihr Leben einmal in Ruhe betrachten und etwas hinter sich lassen? Die Ereignisse Ihrer Familiengeschichte belasten Sie immer noch? Ich höre Ihnen aufmerksam zu, sehe Ihr Leben wie ein Kunstwerk an und schreibe Ihr einzigartiges biografisches Porträt. Ich freue mich auf Ihre Geschichte.